Und plötzlich ging das Licht aus

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Es gibt auch unangenehme Situationen, immer dann, wenn eine unbequeme Wahrheit auf den Tisch kommt. Wenn es darum geht, sein Selbstbild zu hinterfragen. Ich erkenne, dass ich mich nur anhand meiner Leistung definiert habe: Je mehr ich arbeite, umso wertvoller bin ich. Ein alter Glaubenssatz will mir weismachen, dass ich alles im Leben erkämpfen muss – ein fataler Trugschluss, der mich immer wieder in die Erschöpfung treibt. Das Arbeitstier Jens kenne ich, der Mensch Jens ist mir erschreckend fremd. Ich stehe in meinem Zimmer vor dem Spiegel. Wer bist du? frage ich mein Konterfei. Finde es heraus. lautet die Antwort.

Im Mai 2009 erfolgt meine Entlassung als arbeitsunfähig; sieben Wochen habe ich in der Klinik verbracht. Zu Hause soll ich mich um einen Gesprächstherapieplatz kümmern. Einfacher gesagt als getan. Einige Psychotherapeuten nehmen keine neuen Patienten an, wenn doch, ist der früheste Termin Mai 2010. Durch eine Fügung bekomme ich doch noch einen Platz und sitze nun einmal in der Woche einer mir fremden Person gegenüber, die ich an meiner intimen Gedankenwelt teilhaben lassen soll. Es stimmt mich ein wenig traurig, dass ein solches Vorgehen nötig ist. Im Grunde sollten diese Gespräche in der Familie und im engsten Freundeskreis geführt werden. Anscheinend ist dies in unserer Gesellschaft jedoch nicht möglich. Ich möchte nicht meckern, die Gespräche waren teilweise hilfreich und andererseits ist es vielleicht leichter, sich zunächst einem Außenstehenden zu öffnen. Zumindest gab es eine Kontrollfunktion, dass ich nicht wieder in alte Muster zurückfalle. Nach etwa 20 Gesprächen ist auch diese Therapie beendet und ich stehe wieder mitten im Leben.

Beruflich habe ich meinen Weg gefunden und bin weiterhin als freier Journalist tätig. Ich widme mich Themen, die mir am Herzen liegen und mich mit Freude erfüllen. Unstimmige Aufträge lehne ich ab und ernte dafür teilweise Unverständnis. Das ist mir jedoch egal. Ein Fernstudium, welches ich mittlerweile erfolgreich abgeschlossen habe, war mein Wiedereinstieg in die Arbeitswelt. Als ich die ersten Hausarbeiten schrieb, zitterten meine Finger gewaltig. Ich habe meine Versagensangst nicht betäubt oder verdrängt, sondern mich mit ihr auseinandergesetzt; habe die Botschaft der Angst beleuchtet.

Im Abseits

Depressionen und Burnout sind immer noch Tabuthemen. Ganz so aufgeschlossen wie sie glaubt, ist unsere Gesellschaft nicht. Burnout ist der umgangssprachliche Begriff einer seelischen Erkrankung, die mit Überlastung, Erschöpfung und meist mit depressiven Verstimmungen einhergeht. Sie ist äußerst ernst zu nehmen, denn oft ist sie ein (Mit-) Auslöser für diverse weitere Symptome, bei denen keine körperlichen Ursachen gefunden werden können. Die Grenze zu Lebensgefährdenden Depressionen ist fließend. Betroffene benötigen dringend Hilfe, doch aus Scham schweigen viele.

Emotionen dürfen in den eigenen vier Wänden stattfinden, öffentlich scheint es keinen oder nur begrenzt Raum für sie zu geben. Wenn doch, dann nur für bestimmte. Dafür aber jede Menge Medikamente, um Emotionen zu unterdrücken. Mag man einer Studie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) aus dem Frühjahr 2009 Glauben schenken, so „dopen“ zwei Millionen Arbeitnehmer. Körperlich gesunde Beschäftigte schlucken Betablocker gegen Herzrasen, Demenz- und ADHS-Medikamente zur Konzentrationsstärkung und Anti-Depressiva gegen seelische Belastungen mit dem Ziel in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz funktionieren zu können.

Depressionen werden in unserer Gesellschaft als Schwäche angesehen und werden daher gerne totgeschwiegen. Vielerorts schämen sich Familien für ihre depressiven Mitglieder oder wissen nicht wie sie damit umgehen sollen, was sich als äußerst kontraproduktiv erweisen kann. Wer das Schweigen bricht und sich zu seinen Depressionen bekennt, ist mutig. Dennoch begeht die Person häufig gesellschaftlichen und beruflichen Selbstmord, wird zum Außenseiter. Der ehemalige Profi-Fußballer Andreas Biermann hat zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Nach seinem ersten Versuch 2004 wurde „lediglich“ ein Burnout diagnostiziert, eine Depression wurde nicht erkannt und war Biermann zu diesem Zeitpunkt selber nicht bewusst. Kurz vor dem Freitod Robert Enkes leitet Biermann Abgase in das Innere seines Wagens. Er und sein Verein FC St. Pauli verschweigen den Selbstmordversuch. Erst als Enkes Frau die Krankheit ihres Mannes nach dessen Freitod öffentlich macht, beginnt Biermann zu begreifen. Er erkennt seine Depression, vertraut sich seinem damaligen Trainer an und begibt sich in stationäre Behandlung. Damit besiegelte er das Ende seiner Karriere, wie Biermann im Vorfeld befürchtete. Sein Verein und auch kein anderer möchte ihn unter Vertrag nehmen. Er könne die Verantwortung nicht verkraften. Biermann rät deshalb Profi-Fußballern sich zwar in Behandlung zu begeben, aber die Erkrankung nicht öffentlich zu machen. Nach Enkes Freitod sollte sich so viel ändern, hat es aber nicht. Aus diesem Grund trägt sein im Frühjahr 2011 erscheinendes Buch den Titel „Rote Karte Depression“.

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