Videospiele sind für manche Menschen ein rotes Tuch. In erster Linie denken Kritiker an brutale Shooter, die in ihren Augen Gewaltbereitschaft fördern. Dabei ist das recht junge Medium erwachsen geworden, wie es andauernd heißt. Denn längst möchten Spiele-Entwickler mit ihren Werken auf Probleme aufmerksam machen und den gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestalten. Wann das tatsächlich gelingen kann, verrät Christian Schiffer, Mitherausgeber der „WASD – Bookazine für Gameskultur“, im Interview.
Jens Brehl: Videospiele sind nur was für Kinder und darüber hinaus Zeitverschwendung. Warum halten sich diese Vorurteile so hartnäckig?
Christian Schiffer: Die Wahrnehmung des Mediums Videospiel hat sich in den letzten zehn Jahren gewandelt. Daher habe ich Zweifel, ob sich die Vorurteile immer noch so hartnäckig halten. Längst berichten auch große Zeitungen über Videospiele, sie sind in Museen angekommen und das Studienfach Computerspielwissenschaften findet man auch hierzulande an Universitäten.
Vermutlich sind Computerspiele aber tatsächlich erwachsen geworden, vor allem deswegen, weil auch Computerspieler älter geworden sind. Viele Spiele wollen nicht nur Spaß bieten, sondern auch etwas vermitteln. Gerade im Bereich der Indie-Spiele gibt es Werke, die gesellschaftlich brisante Themen ansprechen – wie beispielsweise „Papers, please“. Hier spielt man einen Grenzbeamten und muss moralische Entscheidungen treffen.
Jens Brehl: Anders als ein Film, ein Artikel oder Buch berühren Videospiele den Medienkonsumenten auf eine andere Art. Er ist nicht länger Beobachter, sondern greift als Akteur direkt ins Geschehen ein. Sind sie dann nicht ein perfektes Medium, um Menschen auf emotionaler Ebene mit gesellschaftlichen Missständen zu konfrontieren und sie zu ermutigen, die Welt ein kleines Stück zu verändern?
Christian Schiffer: Möglicherweise. In Videospielen kann ich auf abstrakter Ebene bestimmte Situationen durchleben und sie dadurch besser verstehen. Die transsexuelle Spiele-Designerin Anna Anthropy nutzt Spiele beispielsweise, um ihre Lebenssituation zu vermitteln.
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die von einer Art „Katastrophen-Tourismus“ sprechen, vor allem wenn es um Virtual Reality-Erfahrungen geht: Man schaut sich brisante Dinge an und kehrt anschließend in sein gewohntes Leben zurück. Auch ich bin unsicher, ob die Interaktivität der Videospiele automatisch Menschen ihre Denkweisen hinterfragen und ihr Handeln ändern lässt. Dennoch sollte man in diesem Medium Chancen nutzen, andere Lebensentwürfe den Mitmenschen näher zu bringen.

Die „WASD“ ganz im Zeichen der Revolution
Jens Brehl: Die Ausgabe 11 der „WASD“ beschäftigt sich mit dem Themenschwerpunkt Revolution und wie Videospiele diese abbilden und gegebenenfalls auch zu gesellschaftlicher Veränderung anregen. Erwähnt wird unter anderem der linke Spiele-Entwickler Paolo Pedercini. In einem seiner Werke steuert man die Geschicke von Mc Donalds und merkt, dass man gar nicht der Gute sein kann. Regen solche Spiele wirklich zum Umdenken an oder erreichen sie nur Menschen, die von vornherein von der Botschaft überzeugt sind und ihr Weltbild bestätigt sehen wollen?
Christian Schiffer: Bei den Spielen von Pedercini würde ich letzteres annehmen, das sind eher digitale Flugblätter, die sich an Menschen richten, die ohnehin so denken wie er. Und was Mc Donalds angeht bedarf es wohl keiner großen Aufklärung mehr. Manchmal werden in seinen Spielen die Feindbilder der globalisierungskritischen Bewegung aus den 90ern aufgewärmt.
Was die Mechanik angeht: Spiele, die nicht zu gewinnen sind, können genau dadurch auf ein bestimmtes Thema aufmerksam machen. Den Spielern kann dies ein Aha-Erlebnis und einen Moment der Irritation bescheren – vielleicht bringt das den ein oder anderen wirklich zum Nachdenken. Pedercinis Werke fallen für mich aber trotzdem eher in die Kategorie „Preaching to the converted“. Ich persönlich kann damit eher wenig anfangen, auch weil er manchmal recht platte Feindbilder bedient und noch nicht so recht in der multi-polaren Weltordnung angekommen zu sein scheint, in der eben nicht nur Amerika immer der Böse ist.