Erfüllt der Journalismus noch seine Wächterfunktion? Haben Redakteure Zeit für gründliche Recherche? Gab es die guten alten Zeiten wirklich und wie wirkt sich der ökonomische Druck auf die Medien heute aus? Diese und weitere Fragen diskutierten die Spitzenjournalisten Manfred Bissinger, Julia Friedrichs, Hans Leyendecker und Günter Wallraff.
Die im Buch „Die vierte Gewalt“ zusammengefasste Diskussion der Journalisten ist alles andere als trocken, auch wenn man dies auf den ersten Blick vermuten würde. Vielmehr geben hier erfahrene Kollegen tiefe Einblicke in den heutigen Medienbetrieb mit seinen Stärken und Schwächen.
Politische Lager, wirtschaftlicher Druck und Schnappatmung bezüglich Wulff
Früher war nicht automatisch alles besser, auch nicht im Journalismus. Während so manch einer den Untergang der unabhängigen und kritischen Berichterstattung voraussagt, so belehren uns alte Journalistenhasen eines Besseren. Noch in den 80-iger Jahren seien die politischen Lager in den Medienhäuser stärker ausgeprägt und die Beiträge daher deutlich gefärbter gewesen. Schon vor Beginn einer Recherche hätte das Ergebnis häufig bereits festgestanden.
Heute sehe die Sache schon anders aus, denn es würde mehr ergebnisoffen gearbeitet. Bei allem zeitlichen und wirtschaftlichen Druck meint beispielsweise Hans Leyendecker: „Ich glaube, dass noch nie so viel recherchiert wurde, wie heute recherchiert wird, und gleichzeitig, dass es selten so schlechten Journalismus gegeben hat wie heute. Das klingt wie ein Widerspruch, aber wir haben beides.“
Der wirtschaftliche Druck zeigt sich immer dann offen, wenn Medien Treibjagden veranstalten, um Schlagzeilen zu generieren. Was zählt sind dann Auflagenhöhe und Einschaltquoten. Beispielsweise im Falle von Ex-Bundespräsident Wulff – der viele kommunikative Fehler begangen hat – gerieten etliche Journalisten wie Haie in einen wahren Blutrausch. Die meisten Anklagen haben sich im Nachgang als haltlos erwiesen. Nicht nur die BILD, auch der Spiegel hätten sich in diesem Punkt nicht mit Ruhm bekleckert. Einig sind sich die Diskutierenden, dass es weniger „Schnappatmung“, sondern echte Nachrichten brauche.
Methode Wallraff, oder besser nicht?
Günter Wallraffs Methode öffnet vielfach Türen, die Journalisten ansonsten verborgen bleiben. Er schlüpft dazu in unterschiedliche Rollen und erlebt unerkannt die Geschichten, über die er später berichtet. Somit ist er kein Außenstehender mehr, was in einigen Punkten auch Vorteile bringen kann. Darf man so vorgehen oder muss man sich als Journalist immer zu erkennen geben? Über unterschiedliche Methoden, was Recherche leisten kann und sollte, diskutiert die Gruppe ebenso.
Jammern auf hohem Niveau
In einem Punkt spricht mir Julia Friedrichs aus dem Herzen, denn vielfach Jammern wir Journalisten in Deutschland auf hohem Niveau. In vielen Ländern lebt ein Journalist gefährlich – besonders, wenn er kritische Fragen stellt. „Ich kann alle Fragen stellen, die ich möchte, ich kann hingehen, wohin ich möchte. Wir haben ganz vieles, das sich zu verteidigen lohnt. Manchmal finde ich, könnte man das noch ein bisschen offensiver sagen“, meint Friedrichs.
„Die vierte Gewalt“ bildet eine lebendige Diskussion ab, die nicht nur für Journalisten interessant ist. Einige angesprochene Hintergründe, wie die Rolle des Publikums, dürften auch für an Medien interessierte Leser spannende Einblicke bereit halten.