Mehr als Fairtrade-Kaffee und Ökostrom

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Der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Dr. Oliver Viest wollte schon immer etwas gestalten und bewegen. Bereits während seiner Schulzeit und dem Studium arbeitete er als freier Journalist. Er liebt das Organisatorische und ist immer wieder fasziniert, wie viel Positives man mit Kommunikation erreichen kann. 2002 gründete er die Social Profit Agentur <em>faktor. Arbeiten mit Sinn steht im Vordergrund, auch wenn es nicht leicht ist, zwischen „guten“ und „bösen“ Kunden zu unterscheiden. Für Viest ist die dabei Gemeinwohl-Ökonomie eine große Hilfe. Sein Unternehmen ging selber den mutigen Schritt in diesem Jahr die erste Gemeinwohlbilanz zu erstellen und einen Blick auf Licht und Schatten zu gewähren. 

Zunächst war der Journalismus für Oliver Viest die erste Wahl, wenn es darum ging seine Mitmenschen zu erreichen und zu inspirieren. Das Schreiben alleine erfüllte ihn allerdings nicht lange, aber das Zeitungsmachen und das Organisieren sehr wohl. „Als freier Journalist fühlte ich mich jedoch bald unwohl in der Rolle des Einzelkämpfers. Ich wollte mit anderen gemeinsam Visionen gestalten.“ Schließlich landete der heute 43jährige Unternehmer in der Kommunikationsbrache. „Alles was man tut und nach außen kommuniziert hat immer irgendeine Wirkung. Das finde ich spannend“, bringt Viest seine Faszination auf den Punkt.

2002 gründete er mit Michael Seefeld die Agentur <em>faktor in Stuttgart; heute ist Viest der alleinige Geschäftsführer. Die beiden ehemaligen Freiberufler sind leidenschaftlich für Non-Profit-Organisationen tätig, wobei sie bald den Begriff Social-Profit-Organisation prägen: Schließlich generieren sie Profit – wenn auch nicht unbedingt monetär, so doch auf gesellschaftlicher Ebene. Die Agentur hat sich auf das Fundraising, zu Deutsch dem Beschaffen von Spendengeldern, spezialisiert. „Es macht mir Freude zu überlegen, wie ich Menschen von tollen Projekten erzählen und sie zum Mitmachen begeistern kann“, sagt Viest. Doch seine Agentur ist auch für Wirtschaftsunternehmen tätig, deren Interessen müssen allerdings über den finanziellen Gewinn hinausgehen. „Wir möchten Sinnvolles tun und keine Werbung für Tiefkühlpizza entwerfen.“

Zwischen gut und böse

Bei Landminenherstellern und Gentechnik-Konzernen lässt sich die Frage für Viest schnell klären, ob er für solche Unternehmen tätig werden möchte oder nicht. Bislang hat er einen Auftrag von einer Großbank nicht verlängert, welcher in seinem Urlaub angenommen wurde. Eine Firma aus der Medizintechnik bat er in einem Brief um Verständnis, die Anfrage ablehnen zu müssen. Das Unternehmen war zwar eigenständig tätig, war jedoch die Tochtergesellschaft eines Rüstungskonzerns.

Nun sei nicht automatisch ein gewinnorientiertes Unternehmen böse und ein gemeinnütziger Verein gut. „Ein Verein kann beispielsweise auch Leute ausbeuten. Demgegenüber gibt es Wirtschaftsunternehmen, welche dem Gesetz nach nur verpflichtet sind monetäre Gewinnabsichten zu verfolgen, die fair zu Mitarbeitern und Lieferanten sind.“ Viest bringt es auf den Punkt: „Manche Organisationen halten sich für besser, als sie in Wirklichkeit sind.“

Das bestätigt beispielsweise eine mir bekannte Person, die in der Altenpflege tätig ist. In vielen Einrichtungen herrscht unglaublicher Druck und nicht immer werden die Senioren menschenwürdig versorgt. In der Gegend, in der die betreffende Person tätig ist, seien die Zustände bei den kirchlichen Trägern am schlimmsten. Dort seien die christlichen Werte schon lange der Wirtschaftlichkeit zum Opfer gefallen.

Zurück zu Viest: „Es ist manchmal nicht leicht zu durchschauen, ob ein Unternehmen tatsächlich fair ist, ein Vorhaben Sinn ergibt und in die Gesellschaft einzahlt“, gibt er zu bedenken. „Ich glaube an das Gute im Menschen und möchte mir daher zunächst einmal die Bedürfnisse der potentiellen Kunden anhören. Wenn sich ein Unternehmen aus ehrlichen Beweggründen ändern möchte, sind wir gerne Begleiter.“ Ausgeschlossen sind für Viest und seine Kollegen Aktionen, die Unternehmen ein falsches soziales oder ökologisches Image verpassen sollen.

Vor der eigenen Haustüre kehren

Zunächst tut auch ein Blick in den Spiegel gut, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt. „Man muss sich zunächst selber kritisch hinterfragen, wie sinnvoll die eigenen Tätigkeiten sind und ob diese überhaupt einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben“, sagt Viest. Er gibt zu bedenken, dass seine Agentur mit zehn festen Mitarbeitern im Vergleich ein eher kleines Unternehmen ist. Er stellt sich die Frage, ob eine große Agentur, die viel Geld mit Werbeaktionen für konventionelle Produkte verdient und dafür vielleicht einmal im Jahr eine gemeinnützige Aktion kostenfrei unterstützt, mehr erreicht.

Eben dieses Dilemma sprach auch Thomas Gutberlet, Geschäftsführer des Lebensmittelhändlers tegut, in der Zukunftswerkstatt am 31. Januar in Fulda an, zu dem sein Unternehmen eingeladen hatte: „Sollen Unternehmen eine große monetäre Wertschöpfung betreiben, um nachher möglichst viel verteilen zu können? Schließlich steht dies vielerorts im Widerspruch, denn zunächst wird das Gemeinwohl im Vorfeld geschädigt, damit hinterher wieder ausgebessert werden kann.“ Der gesellschaftliche Beitrag würde zudem meist nur an der Höhe von freiwilligen Spenden und den zu zahlenden Steuern gemessen. Laut Gutberlet greift dies zu kurz.

Pragmatiker Oliver Viest hat das Buch zur Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber nie gelesen.

Pragmatiker Oliver Viest hat das Buch zur Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber nie gelesen.

Viest gibt zu, dass auch er seine Agentur als ökologischer wahrgenommen hat, als sie ist. Zwar bezieht sie Ökostrom und die Mitarbeiter freuen sich über Bio-Snacks und Fairtrade-Kaffee, aber: „So ökologisch wir uns auch gefühlt haben, ist das marginal gegenüber dem, was wir sonst monetär in unserem Geschäftsfeld bewegen.“ Viest war daher auf der Suche, wie man das positive Wirken auf die Gesellschaft sichtbar machen und messen kann. Schließlich wird er durch seine Kollegin Helene Prölß auf die Gemeinwohl-Ökonomie aufmerksam.

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