Hinter den Kulissen der heilen Bio-Welt

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Bio hilft die Welt verbessern, sind sich bewusste Verbraucher sicher. Wenn wir im Supermarkt Bioprodukte in unseren Einkaufswagen legen, beschwingt uns das gute Gewissen einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Umwelt geleistet zu haben. Kein Wunder: Auf den Packungen finden sich Bilder von glücklichen Tieren in heiler Natur, Obst und Gemüse wirken besonders frisch und diverse Biosiegel bürgen für Qualität. Wer jedoch hinter die Kulissen der heilen Bio-Welt schaut stößt schon bald auf Schattenseiten.

Zwischen Kulturgut und Kommerz

Februar 2013. „Irgendetwas stimmt hier nicht“, murmele ich leise vor mich hin. Im hektischen Treiben um mich herum geht mein kurzes Selbstgespräch zum Glück unter. Das ungute Gefühl bleibt. Ich befinde mich auf der BioFach in Nürnberg, der Leitmesse für biologische Lebensmittel und ökologische Wirtschaftsweisen. Tatsächlich sind zahlreiche Pionierunternehmen und Organisationen, die sich stark für das Wirtschaften im Einklang mit der Natur engagieren, mit einem Messestand vertreten. Es überwiegen jedoch geschäftige Anzugsträger, die den Dresscode der herkömmlichen Industrie übernommen haben und über Mengen, Liefertermine und Stückpreise verhandeln. Bei meinem Streifzug durch die Hallen entdecke ich darüber hinaus ökologisch fragwürdige Produkte: eine handvoll Käsescheiben eingeschweißt in Plastik, Fleisch aus Massentierhaltung und Energie-Riegel, deren Zutaten um den halben Globus transportiert werden müssen. Auch der Druck wirtschaftlich immer weiter wachsen zu müssen, sich Marktanteile zu sichern und die Konkurrenz zu verdrängen sind omnipräsent. Das Kulturgut Lebensmittel fällt dem Kommerz zum Opfer. Sind Lebensmittel noch Mittel zum Leben oder reine Massen-Handelsware?

Massive Abhängigkeiten

Schaut man sich die Handelstrukturen einmal näher an, findet man bei Bio vielerorts das Gleich in grün vor. Damit Supermärkte – egal ob konventionell oder Biomarkt-Kette – alle Filialen mit Waren bestücken können, müssen diese in großen Mengen produziert werden. Demnach müssen Landwirte ihre Höfe tendenziell vergrößern und einen hohen Ertrag erwirtschaften. Was häufig folgt sind Monokulturen und Massentierhaltung. Kleinbäuerliche Landwirtschaft passt nicht in das System der großen Zentrallager, Verteiler und Transportketten.

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Weitere Einblicke hinter die Kulissen der heilen Bio-Welt gibt Agrarbiologe Clemens Arvay in seinem aktuellen Buch.

Obst und Gemüse muss zudem maschinengängig, sprich möglichst gleichförmig sein. Wenn es das ist, lässt es sich maschinell reinigen, sortieren und verpacken. Kartoffeln die beispielsweise zu klein sind oder Karotten mit zwei Strängen werden häufig aussortiert und gelangen demnach gar nicht erst in den Handel. Auch Gurken mit einer zu starken Krümmung sind unattraktiv, weil weniger von ihnen in eine Kiste passen. Die im Grunde einwandfreie „Ausschussware“ wird dem Landwirt in der Regel nicht vergütet und somit haben bereits einige von ihnen einschlägige Erfahrungen mit Handelsketten gemacht. Exemplarisch sei hier der österreichische Bio-Apfelbauer Martin Birnstingel genannt. Trotz negativer Erfahrungen mit Handelsketten lieferte er 2012 mehrere Tonnen Äpfel an Lidl Österreich, die postwendend retourniert und nicht vergütet wurden. Birnstingel hatte den „Fehler“ begangen, bestens ausgereifte und damit äußerst schmackhafte Äpfel zu liefern. Diese fielen jedoch beim Festigkeitstest durch, weil sie in diesem Punkt nicht die Mindestanforderungen laut Standardkatalog für die Qualitätsrichtlinien des Discounters erfüllten. Birnstingel hätte unreifes Obst liefern müssen, wie es vielerorts praktiziert wird. Dieses kann man länger lagern und über weite Strecken transportieren. Darunter leidet nicht nur der Geschmack, sondern auch der Nährstoffgehalt. Dieser Vorfall ist einer von vielen, die der Agrarbiologe und freie Autor Clemens G. Arvay in seinem neuen Buch „Friss oder stirb“ präsentiert. In einem Internetvideo geht Arvay speziell auf das System Supermarkt und dessen Auswirkungen für die Biolandwirte ein.

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