Eine linksgrünversiffte Utopie wird 40

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Man stelle sich vor: Völlig fachfremde Idealisten aus allen möglichen links-politischen Strömungen wollen eine tägliche Zeitung herausbringen. Dazu müssen sie tausende Menschen von einem Abonnement überzeugen, obwohl noch keine einzige Ausgabe gedruckt wurde. Die Utopie heißt taz, wird 40 Jahre alt und zieht demnächst in einen schicken Neubau. Dabei hat selbst das Gründungsmitglied Christian Ströbele am Erfolg gezweifelt. „Ich habe nicht geglaubt, dass die taz länger existieren würde. Ich dachte, wenn man es mal schafft, so ein Projekt mit Kollektivstrukturen, an die niemand glaubte, ein paar Monate zu machen, das wäre dann vorbildhaft für ein längeres Unternehmen“, schreibt er im vor Kurzem erschienenen Jubiläumsband.

Cover Jubiläumsband 40 Jahre taz

40 Jahre taz – Jubiläumsband mit 400 Seiten für 40 Euro erhältlich.

Am 23. Februar 1978 gründeten fünf Männer und zwei Frauen den Verein „Freunde der alternativen Tageszeitung“ und legten damit den Grundstein für die taz. Sie bildete eine Brutstätte für naive Utopien und immer wieder gab es Krach und Krisen zwischen den unterschiedlichen politischen Strömungen im Haus. Ohne Redaktionsstatut oder feste Ressorts herrschte Anarchie. Das durchgängige Erscheinen einer täglichen Ausgabe war rückblickend ein Wunder.

Der direkte Zugang zur links-alternativen Szene mag vielleicht für Scheuklappen und Aktivismus gesorgt haben, öffnete aber besondere Wege. „Die taz konnte investigativen Journalismus betreiben, weil sie all das, was an Wissen und Informationen in Initiativen, Bürgerbewegungen, linken Strukturen da war, bündeln konnte und dadurch aus der Macht des Wissens der Bewegungen sehr viel aufdecken konnte“, schreibt Andreas Orth.

Waffenkäufe und Geheimdienste

Journalismus war für viele tazler anfangs Politik mit anderen Mitteln und so manche Aktion ist heutzutage nur noch schwer vermittelbar. So sammelte die taz insgesamt über 4,7 Millionen Mark für Waffenkäufe der Opposition in El Savador ein. Auch so mancher Spitzel der Geheimdienste aus Ost- und Westdeutschland saß in der Redaktion. Das waren heiße Zeiten damals.

Wo wären wir ohne die taz?

Selbstverwaltung, Anarchie und Einheitslohn sind schon bei der taz schon lange Geschichte. Das Blatt hat längst moderne Strukturen. Unter dem Strich war die gelebte Utopie für unsere heutige Medienlandschaft ein wichtiger Bestandteil. Bei allem Kuriosen gab es dank alternativer Denke auch Innovationen:

  • 15. November 1980: Frauenquote beschlossen
  • 1991: Genossenschaft gegründet und 3 Millionen Mark eingesammelt
  • Mai 1995: erste deutsche Tageszeitung mit eigener Internetseite

Die Kraft neue Wege zu gehen, muss sich das Blatt auch heutzutage bewahren. „In der Rudi-Dutschke-Straße tagtägliche Texte für die Print-taz zu schreiben, fühlt sich in den 10er Jahren mitunter so an wie in Essen 1960 in einer Zeche oder einer Kokerei zu arbeiten: Man weiß, dass es vorbei ist, nur noch nicht genau, wann“, schreibt Redakteur Stefan Reinecke.

Doch die zahlreichen Beiträge, Fotos und Dokumente spiegeln nicht nur den Werdegang der taz in den letzten Jahrzehnten wider. Zwischen den Zeilen fließt Mut heraus, neue Wege zu beschreiten. Schließlich ist das Blatt schon aus etlichen Krise gestärkt hervorgegangen. Zudem ist die taz dank Genossenschaft, gemeinnütziger Panter Stiftung, Internetseite schon heute mehr, als „nur“ eine gedruckte Zeitung.

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