Ende Mai 2012 besuche ich Maria Langstroff. Die damals 26jährige ist nahezu vollständig gelähmt und bettlägerig. Lediglich ihren Kopf und ihren rechten Arm kann sie noch bewegen. Wenige Wochen zuvor erblindete sie und muss dennoch eine Sonnenbrille tragen: Grelles Licht löst bei der jungen Frau Muskelkrämpfe aus. Als ich zur vereinbarten Zeit an Marias Zimmertür klopfe, bin ich nervös. Ich ahne nicht, was mich erwartet und gleichzeitig spüre ich im Innern meine eigenen Berührungsängste behinderten Menschen gegenüber.
Zögernd trete ich ein und sofort umhüllt mich die Dunkelheit. Geradezu schüchtern begrüße ich Maria. Eine überraschend klare Stimme bittet mich näher zu treten. Nach wenigen Schritten stehe ich neben Marias Bett. Mit nervösem Tonfall stelle ich mich vor. Maria fragt nach meinem Alter, da ich „jung“ klingen würde. Tatsächlich bin ich lediglich sechs Jahre älter. Maria hat ihre Erlebnisse in ihrem damals kürzlich veröffentlichten Buch „Mundtot!? – Wie ich lernte, meine Stimme zu erheben – eine sterbenskranke junge Frau erzählt“ veröffentlicht. Deswegen besuche ich Maria im Pflegeheim in Gießen, in dem sie lebt. Im Magazin Publik-Forum wird später der Beitrag erscheinen.
Doch zunächst habe ich ein anderes Problem: Ich kann meine auf dem Block notierten Interviewfragen nicht lesen, denn dafür ist es schlicht zu dunkel. Daher darf ich im Badezimmer Licht anschalten und die Tür einen Spalt breit offen stehen lassen. In den nächsten Stunden wird mir Maria ihre Geschichte erzählen und wie sie trotz aller Umstände den Lebensmut erhält und worin sie Kraft findet. An manchen Tagen gelinge ihr das besser, an manchen eher nicht. Gerade zu winzig erscheinen mir meine Alltagssorgen. Je länger wir reden, desto mehr tritt meine anfängliche Angst in den Hintergrund. Trotz des ernsten Themas lachen wir hin und wieder gemeinsam und ich besorge uns auf ihre Bitte hin ein Eis. Die Eisdiele befindet sich nur wenige Häuser weiter, doch für Maria könnte sie ebenso gut auf dem Mond sein. Jahre zuvor war sie mit ihrem Rollstuhl mobil und sie konnte auch noch sehen. Da Marias Schluckreflex nicht mehr funktioniert, wird sie mittels einer Sonde künstlich ernährt. Die Eiscreme kann sie aber in ihrem Mund schmelzen lassen.
Vertrauen trotz ungewisser Zukunft
Wie es mit Maria gesundheitlich weitergeht steht in den Sternen. Während die Lähmung schleichend fortschreitet, kommen andere Symptome schlagartig. Der jungen Frau gelang es, Frieden mit sich, ihrem Körper und ihrem Schicksal zu schließen. Anstatt ihren Verlusten nachzutrauern, konzentriert sie sich auf das, was ihr geblieben ist. Ihre Familie, Freunde und die Möglichkeit sich mitzuteilen. Bis dahin war es jedoch ein langer Weg. „Ich vertraue auf Gott, dass alles richtig ist, so wie es ist. Ich bin glücklich mit meinem Leben, das in den Augen der meisten Menschen als nicht lebenswert erscheint“, sagt Maria.
Zurück auf der Straße muss ich nicht nur wegen dem grellen Sonnenschein blinzeln: Um mich herum tobt das Leben. Autos ziehen an mir vorbei sowie fröhlich wirkende Passanten. Wenige Meter weiter liegt Maria in ihrer Dunkelkammer. Die Gegensätze könnten kaum größer sein.
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