Mehrmals am Tag liegt unser Leben in den Händen von Rauch- und Brandmeldeanlagen. Ob zu Hause, am Arbeitsplatz, in Schulen, in Kindergärten, in Einkaufzentren und sämtlichen öffentlichen Gebäuden. Wenn es darum geht Feuer zu löschen und Menschenleben zu retten, entscheiden die ersten Minuten über Leben und Tod. Daher müssen Einsatzkräfte so schnell wie möglich alarmiert werden. Es ist fatal der Technik blind zu vertrauen, berichtet Markus Müller (Name geändert). Er ist seit elf Jahren als Sicherheitstechniker tätig und wirkt bei zahlreichen Großprojekten mit. Er erzählt von Kostendruck, Pfusch und dem Spiel mit Menschenleben.
Jens Brehl: Sie sind seit elf Jahren in der Sicherheitsbranche tätig. Was sind ihre Aufgaben und in wie vielen Unternehmen haben sich bislang gearbeitet?
Markus Müller: In meiner bisherigen Laufbahn habe ich für vier unterschiedliche Firmen gearbeitet. Ich baue Brand- und Einbruchmeldeanlagen auf und nehme sie in Betrieb. 90 Prozent meiner Aufträge betreffen öffentliche Gebäude, wobei es sich meist um Großprojekte handelt. Darunter sind Schulen, Einkaufszentren, Banken, Hotels, Behörden mit teils großer Besucherfrequenz oder Gebäude des öffentlichen Personenverkehrs.
Jens Brehl: Wir verlassen uns im Alltag immer mehr auf die Technik. Wie sicher dürfen wir uns durch Brandmeldeanlagen fühlen?
Markus Müller: Die Technik selber ist sehr gut ausgereift. Dennoch ist ein ausreichender Schutz nicht immer gegeben. Schuld daran ist menschliches Versagen und ein enormer Zeit- sowie Kostendruck. Bei einem Neubau sind die Sicherheitstechniker erst kurz vor der Fertigstellung im Einsatz. Die Brandmeldeanlagen können erst dann installiert werden, wenn andere Firmen, wie beispielsweise Elektriker, ihre Aufgaben erledigt haben. Zudem müssen die finalen Gebäudestrukturen vorhanden sein, denn jede Brandmeldeanlage muss individuell auf die örtlichen Begebenheiten hin konzipiert und programmiert werden. Bei nahezu jedem Bauprojekt kommt es zu Verzögerungen und gerade bei öffentlichen Gebäuden wird der Eröffnungstermin lange im Vorfeld festgelegt. Bei Großprojekten findet häufig ein Empfang oder eine Feier mit (örtlicher) Prominenz statt, das öffentliche Interesse ist dementsprechend groß. Bei gewerblichen Objekten entsteht zudem häufig ein nicht unerheblicher wirtschaftlicher Schaden, wenn es nicht den Vorgaben entsprechend bezugsfertig ist. Das Zeitfenster für die Sicherheitstechniker wird daher immer kleiner und es herrscht permanenter Druck, besonders wenn aus Kostengründen zu wenig Personal vorhanden ist. Es schleichen sich mitunter gravierende Fehler ein, die erst im Nachhinein entdeckt werden – wenn überhaupt.
Jens Brehl: Aber dann werden die Fehler beseitigt.
Markus Müller: Das ist eher die Ausnahme, denn das Sicherheitstechnikunternehmen ist bereits mit dem nächsten Projekt beschäftigt, welches unter Zeitdruck fertig gestellt werden muss. Daher kann es vorkommen, dass bekannte Fehler bestehen bleiben. Es wird schon gut gehen…
Jens Brehl: Moment mal. Bevor ein Gebäude eröffnet wird, hat doch ein Sachverständiger die Sicherheitssysteme überprüft.
Markus Müller: Es wird bei der so genannten Sachverständigenprüfung nur in Stichproben kontrolliert, also nur einzelne Rauchmelder und nicht alle. Im Vorfeld gibt eine vollständige Prüfung, der so genannte „Einhundert-Prozent-Test“. Dieser wird jedoch häufig aus unterschiedlichsten Gründen, wie etwa Zeitmangel, nicht vorschriftsmäßig vollzogen und dennoch von einem unter Druck gesetzten Sicherheitstechniker per Unterschrift bestätigt. Das entsprechende Dokument wird dann dem Sachverständigen vorgelegt.
Zudem kennen sich Sicherheitstechnikunternehmen und einzelne Sachverständige mitunter seit Jahren. Somit ist man mit den persönlichen Eigenheiten der Prüfer vertraut und nutzt das Wissen dazu geschickt von Mängeln abzulenken. Funktionieren die Rauchmelder in einer bestimmten Gebäudesektion nicht korrekt, so wird man alles dran setzen, dass die Prüfung in anderen Bereichen stattfindet. Zudem wird die Anlage nicht als Ganzes geprüft. Dafür müsste man den Ernstfall simulieren, denn es kommt nicht nur auf die Rauchmelder und die eigentliche Brandmeldeanlage an. Bei Alarm muss die Lüftung automatisch abgeschaltet werden, um ein Feuer nicht weiterhin mit Sauerstoff zu versorgen. Rauch muss abgesaugt und Feuerschutztüren aktiviert werden. Fahrstühle werden derart gesteuert, dass sie nur vom Brandherd entfernten Etagen anhalten und die Türen öffnen. Das ist ein komplexes Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen hochtechnischen Anlagen. Aber genau dieses Zusammenspiel wird selten geprüft. Bei einem größeren Einkaufszentrum könnte ein Realitätstest mehrere Wochen dauern, daher wird aus wirtschaftlichen Gründen in der Praxis darauf verzichtet.
Die Haustechniker müssen sich kurz vor der Eröffnung des Gebäudes mit sämtlichen Anlagen vertraut machen, von der Lüftungs- und Klimaanlage über hochkomplexe Gebäudeleittechniken bis hin zur Sicherheitstechnik. In dieser kurzen Zeitspanne müssen die Techniker eine Fülle an Informationsstoff verarbeiten und sich merken. Wir schulen zwar die Mitarbeiter des Kunden, doch in der Regel sind diese schlicht und einfach überfordert. Dennoch unterschreiben sie entsprechende Formulare und manch ein Sicherheitstechniker möchte möglichst rasch an die begehrte Unterschrift kommen. Zudem ist es normal, dass Brandmeldeanlagen anfangs noch „Kinderkrankheiten“ aufweisen. Sollen diese beseitigt werden, wir die Technik umgebaut, erweitert und / oder neu programmiert. Das Wissen der Haustechniker entspricht dann häufig nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten. Die Sicherheitstechnikunternehmen können nie gewährleisten, ob die Anlagen ordnungsgemäß betreut werden – besonders wenn das Kundenpersonal wechselt. Daher kann es durch den Betreiber selber zu menschlichem Versagen kommen. Sarkastisch könnte man sagen, dass der Ernstfall gleichzeitig der erste aussagekräftige Test von Mensch und Technik überhaupt ist.
Ein Kommentar
Schreibe einen Kommentar →