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Mein Gott, es ist doch nicht alles gelogen!

„Zwischen ‚Lügenpresse‘ und konstruktivem Journalismus“ heißt nicht nur mein neues Buch, sondern beschreibt das Spannungsfeld, in welchem ich mich täglich bewege. Neben Vorwürfen wie ich könnte angesichts fehlender Pressefreiheit nicht frei arbeiten, gibt es etliche Medienprojekte, die neue und vor allem auch konstruktive Wege gehen. Nun möchte ich erklären, warum ich mein Buch überhaupt geschrieben habe.

Interessiert schaute ich dem Handwerker in meiner Wohnung über die Schulter, während er sich freute, so unkompliziert einen Termin gefunden zu haben. Wie aus der Pistole geschossen, erklärte ich als freiberuflicher Journalist zu arbeiten und biss mir sogleich auf die Zunge. Das sollte doch ein Geheimnis bleiben. Der Handwerker drehte sich um und schaute mir in die Augen. „Dann gehören Sie ja auch zu denen“, wobei er „denen“ besonders betonte. Es war schon wieder passiert.

Schnell war klar, dass ich in seinen Augen zu den Menschen im Lande gehöre, die Nachrichten manipulieren und folglich nicht die Wahrheit berichten. Stichwort „Lügenpresse“. Ich liebe meinen Beruf von ganzem Herzen. Doch anders als früher, erzähle ich neuen Bekanntschaften nicht sofort, was ich arbeite. Zu oft folgen Vorwürfe wie: „Alles ist gekauft.“ „Du kannst doch gar nicht frei berichten, weil es in Deutschland keine Pressefreiheit gibt.“ Nicht immer habe ich die Kraft für derartige Diskussionen und gehe ihnen lieber aus dem Weg. Doch stimme ich dann schweigend zu? Und ganz ehrlich: Während sich im Laufe der Zeit viele Missverständnisse ansammeln konnten, besitzen einige Vorbehalte einen wahren Kern.

Zeit, um Brücken zu bauen

[1]Ab einem gewissen Punkt inspirierten mich die leidigen Diskussionen zu einem neuen Projekt. Seit fast vier Jahren gebe ich in meinem Medienblog „Der Freigeber“ Blicke hinter die Kulissen der Medienwelt frei. Mit dem neuen E-Book „Zwischen ‚Lügenpresse’ und konstruktivem Journalismus“ [1] beleuchte ich das Spannungsfeld, in welchem ich mich befinde – und größer könnte es kaum sein. Ich möchte Brücken zwischen Mediennutzer und Medienmacher bauen, damit sich beide Seiten besser verstehen. Dazu gehört es auch, die zahlreichen Schwachstellen unseres Mediensystems zu betrachten. Natürlich gibt es Redakteure, die bei heißen Eisen „die Schere im Kopf“ haben. Außerdem sind die meisten Medien von ihrem größten Förderer abhängig, der Industrie. Autohersteller, die bei Abgaswerten manipulieren und Lebensmittelproduzenten, die in ihre Produkte zu viel Zucker packen und dergleichen, sponsern die Medien mit Milliarden in Form von Werbegeldern. Ob da Abhängigkeiten entstehen? Aber hallo!

Und tatsächlich: Ein Produzent von Dokumentarfilmen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erzählte, wie schwer es sein kann, kritische Beiträge unterzubringen. Bei bestimmten Themen sei die Agenda gesetzt. Allerdings nannte der Produzent, der im Buch anonym bleiben möchte, auch Lichtblicke, wie Redakteure, die sich für hintergründige Beiträge einsetzen. Allerdings sind diese deutlich aufwendiger in der Recherche, kosten daher mehr Zeit und Geld. Nicht immer kann das Honorar alles abdecken und so braucht es vor allem engagierte Journalisten, die ihr Herzblut investieren. Manch ein Kollege des Produzenten könnte bei einem Beitrag über drohende Altersarmut selbst vor die Kamera treten.

Keine Pressefreiheit? Jammern auf hohem Niveau?

Auch wenn wir in Deutschland verglichen mit anderen Ländern (etwa Türkei, Ungarn) in puncto Pressefreiheit auf hohem Niveau jammern, gibt Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen [2] zu bedenken, dass wir sie täglich verteidigen müssen. Sei es wegen mangelndem Auskunftsrecht gegenüber Bundesbehörden oder bezüglich der Überwachung durch Geheimdienste. Aber soll ich mich auf die vielen Diskussionen à la es gibt in Deutschland keine Pressefreiheit überhaupt einlassen? „Unbedingt. Wenn Medien als zentraler Bestandteil unserer Demokratie an Glaubwürdigkeit verlieren, entsteht ein Vakuum, das andere Akteure füllen. Viele dieser ‚alternativen’ Informationsangebote erwecken allerdings nur den Anschein journalistischer Produkte. Sie verfolgen eine bestimmte Agenda, erhalten viel Aufmerksamkeit und nehmen damit realen Einfluss auf unsere Gesellschaft“, erklärt Gruska.

Mediennutzer sollten demnach nicht den Fehler begehen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Manchmal erzählt mir jemand stolz, dass er (seit Jahren) kein Fernsehen mehr schaut und erwartet von mir entsprechendes Lob. Im Gegenzug zähle ich gerne Beiträge auf, die ich in letzter Zeit speziell im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesehen habe. Da ging es um bezahlbaren Wohnraum, Kritisches über das Freihandelsabkommen TTIP, Gefahren der Gentechnik, fairen Welthandel und vieles mehr. „Oh, das hätte mich aber auch interessiert“, ist dann häufig die Antwort meines Gegenübers. Aber warum gibt es dennoch so viele Vorbehalte, das Fernsehen sende nur verdummende Inhalte? Ebenso gut könnte man nach der ausschließlichen Lektüre von Groschenromanen behaupten, es würden keine geistreichen Bücher mehr gedruckt. Eine Antwort ist im Grunde simpel, in der Praxis mitunter kompliziert. Journalisten verlangen bei ihrer Recherche eine Transparenz, die sie oft selbst gar nicht bereit sind zu gewähren. Warum wurde so und nicht anders berichtet? Warum kommen scheinbar immer nur die gleichen Menschen zu einem bestimmten Thema zu Wort?

Mehr als „like“: Gemeinsam sind wir stark

In meinen Augen gilt es, den Journalismus zu fördern, den man sich auch wünscht (wie beispielsweise den Medienblog „Der Freigeber“). Schließlich kann es ihn nicht zum Nulltarif geben. Und so sind die Erwartungen an Redaktionen oder auch an mich als einzelner freier Journalist mitunter sehr hoch – was uns alle im Grunde ehrt. Allerdings verlangen meine Leser aufwendige Recherchen, damit sie hinterher den fertigen Beitrag kostenfrei im Blog lesen können. Sie können sich kaum vorstellen, wie viel Zeit und Geld ich zunächst investieren müsste. Es ist wie überall: Wer beispielsweise seine Brötchen nur beim Discounter kauft, muss sich nicht wundern, wenn der Handwerksbäcker um die Ecke schließt. Daher: Mal den einen oder anderen Euro für einen guten Blog oder Podcast ausgeben und interessante Magazine nicht nur toll finden, sondern auch kaufen. Auf „gefällt mir“ klicken ist ein tolles Feedback, aber mehr auch nicht.

Es existieren weitere Wege, wie man sich einbringen kann: Wie in vielen Regionen, gibt es auch in meiner Heimatstadt Fulda nur eine Tageszeitung, die alleine gar nicht das komplette Meinungsspektrum abbilden kann oder will. Mitunter empfinden Leser die Berichterstattung in bestimmten Punkten als einseitig und kritisieren die Nähe zur lokalen Wirtschaft. „Wer unzufrieden ist, muss sich auch engagieren, um Situationen zu verbessern – und so haben wir die in unseren Augen vernachlässigten Themen selbst aufs Papier gebracht“, sagte mir Martin Uebelacker, ein Mitstreiter der Bürgerzeitung „AGORA“ [3]. Alle drei Monate erscheint die Zeitung und wird kostenfrei verteilt. Sie bereichert nicht nur die Meinungsvielfalt, sondern weckt mitunter öffentliche Themen aus dem Dornröschenschlaf. Auch für Regionalmedien leisten die ehrenamtlichen Redakteure einen großen Dienst. Sie zeigen auf, womit sich die Bürger beschäftigen und was ihnen am Herzen liegt.

Tatsächlich sehe in gerade im gemeinnützigen Journalismus eine große Stärke. Bei „Radio München“ [4] geht es beispielsweise bewusst darum, den gesellschaftlichen Wandel zu begleiten und seinen Hörern zu ermöglichen, ihn zu verstehen und daran teilzuhaben. Nach der Tageszeitung „taz“ ist „Radio München“ das zweite deutsche Medienunternehmen, welches sich der Gemeinwohl-Ökonomie [5] angeschlossen hat. Hierbei geht es kurz gesagt darum, Wirtschaft so zu gestalten, dass sie den Menschen nützt und dem Gemeinwohl dient. Seit 2014 ist das gemeinnützige Radio auf Sendung und hat rund 30 Mitarbeiter, welche sich alle einschließlich der Geschäftsführerin Eva Schmidt ehrenamtlich engagieren.

Natürlich haue ich in meinem Buch „Zwischen ‚Lügenpresse’ und konstruktivem Journalismus“ [1] in die Kerbe, was in der Medienwelt falsch läuft. Das muss auch so sein. Bewusst beschäftige ich mich jedoch besonders mit lösungsorientiertem Journalismus und stelle neben „AGORA“ und „Radio München“ weitere herausragende Projekte vor, die schon heute neue Wege gehen. Damit hoffe ich, Verständnis zwischen Medienmachern und Mediennutzern gefördert, meinen Kollegen einen Motivationsschub geleistet und allgemein Lust auf Medien gemacht zu haben. Denn ganz ehrlich: Guter Journalismus braucht seine Nutzer ebenso, wie die Gesellschaft freie Medien benötigt. Zeit, dass wir im gleichen Boot sitzend die nächsten Ziele ansteuern.

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„Zwischen ‚Lügenpresse’ und konstruktivem Journalismus“ von Jens Brehl (ISBN 978-3-7450-5485-9) gibt es in allen E-Book-Shops (Amazon, iTunes, Google Play Store, Thalia und viele mehr) für 2,99 Euro.